Von der Karteileiche zum Wachstumstreiber: das unterschätzte Potenzial der Bestandskunden

Von der Karteileiche zum Wachstumstreiber: das unterschätzte Potenzial der Bestandskunden

Von der Karteileiche zum Wachstumstreiber: das unterschätzte Potenzial der Bestandskunden 1600 1102 Melanie Krug

Sales im Bereich IT Enterprise ist hart. Und er wird härter. Unsichere Aussichten und steigende Lebenshaltungskosten bremsen die Kauflaune von Endkunden und verlangsamen auch die Wachstumsaussichten für B2B-Unternehmen. Wenn neue Marktanteile nur noch schwer zu erreichen sind, die Umsatzziele aber ambitioniert bleiben, lohnt ein Blick auf die, denen Unternehmen ihre Marktposition verdanken: die Bestandskunden.

Hier und da könnte es nächster Zeit ein wenig ungemütlich werden. Die Konjunkturaussichten lassen sich bestenfalls mit „einigermaßen“ beschreiben. Für Unternehmenslenker stellt sich die Frage, ob und wie sie langfristig gesteckte Ziele noch erreichen können. Strategisch und taktisch ist diese Reflexion vielleicht der richtige Zeitpunkt, sich um diejenigen zu kümmern, denen Unternehmen ihre vergangenen Wachstumserfolge verdanken: Bestandskunden. Denn allzu oft ist ein Kunde nach dem ersten Kauf schneller zu einer Karteileiche mutiert, als der Umsatz im Jahresabschluss verbucht wird.

Dabei wissen Experten schon seit langem, dass es sechs bis sieben Mal effektiver ist, einen Bestandskunden zu überzeugen, als einen neuen Kunden zu finden. Dieses Wissen wird zwar von einer (Marketing-)Generation zur nächsten weitergegeben – doch praktisch hat sich kaum etwas verändert. Wir wollen einmal schauen, warum das so ist, und ob es heute mit modernen Marketing-Technologien nicht doch möglich ist, aus theoretischem Wissen praktisch Kapital zu schlagen.


Eine Abkürzung, die jeder kennen sollte: CLV

CLV steht für „Chaotisch langatmige Verhandlungen“. NEIN, natürlich nicht. Es geht um etwas ganz anderes: den Customer Lifetime Value.

Dazu ein Beispiel aus der IT: Sagen wir, ein Kleinunternehmer kauft 10 Laptops für seine Mitarbeiter. Die Ware wird ausgeliefert, die Rechnung beglichen. Doch damit ist die Beziehung zwischen Anbieter und Kunden keinesfalls beendet. Da geht noch mehr. Vorausgesetzt der Kunde ist zufrieden, kann der Anbieter sicherlich zu einem späteren Zeitpunkt weitere Produkte und/ oder Services an genau diesen einen Kunden verkaufen. Erstkauf und Nachkäufe bilden zusammen eine der wichtigsten Stellgrößen im Bestandskundenmarketing, den „absoluten“ Wert des Kunden. Er ist die Antwort auf die Frage, wie viel Umsatz in einem definierten Zeitraum (z. B. fünf Jahre) mit dem Kunden zu erzielen ist.

Unsere eigenen Beobachtungen zum Beispiel im Bereich IT Enterprise oder auch im Investitionsgüterbereich zeigen, dass nur wenige Organisationen dieses Thema programmatisch betreuen. Dabei ist der Customer Lifetime Value (CLV) eine wichtige Planungsgröße für die Business-, Marketing- und Sales-Planung.


Customer Lifetime Value


Marketing is the new Sales – besonders im Bestandskundenvertrieb

Noch mal zurück zum CLV, dem Customer Lifetime Value. Wie bereits angedeutet, ist er eine wichtige Stellgröße für die Marketing- und Business-Planung. Nehmen wir an, wir ermitteln einen Lifetime-Value von 10.000 € pro Kunde. Seine Erstinvestition beträgt 4.000 €, die restlichen 6.000 € verteilen sich gleichmäßig auf die folgenden fünf Jahre.

Die Frage ist doch: Wie können Unternehmen dieses 1,5-fache Umsatzpotenzial heben? Der Vertrieb wird für 1.200 € im Jahr nicht aktiv, er wird sich auf die nächste 4.000 € Verkaufschance stürzen. Eine personalintensive Direktbetreuung scheidet angesichts der pro Jahr vergleichsweise niedrigen Umsätze auch aus. Hat das Unternehmen jetzt also ein Problem? Nicht unbedingt, sofern es über a) geeignete Marketing-Tools und b) über ein dediziertes Bestandskundenmarketing verfügt. Und wenn wir statt von 1 von 100 Bestandskunden sprechen, werden aus 1.200 € im Jahr schnell 120.000 €. Bei einem ROI von 1 zu 5 stehen damit für das Bestandskundenmarketing 24.000 € pro Jahr zur Verfügung. Damit lässt sich schon arbeiten. Ein zusätzlicher Ertrag von 96.000 € pro Jahr oder 480.000 € in fünf Jahren versüßt die Entscheidung – und zeigt, was in einem professionellen Bestandskundenmarketing steckt.


Schlüsselmoment Up- and Crossselling

Papier ist bekanntlich geduldig – und Exceltabellen sind es auch. Also wie bringen Unternehmen das oben skizzierte Potenzial auf die Straße?

Dazu müssen Unternehmen zuerst festlegen, wie die konkreten Up- and Cross-Selling-Angebote aussehen. Genaugenommen muss diese Frage natürlich zu Beginn des Prozesses beantwortet werden, bei der Ermittlung des CLV. Ohne Henne gibt es kein Ei, und ohne Up- und Cross-Selling-Angebote kein CLV.

Nachverkaufschancen können Unternehmen zum Beispiel aus der Betrachtung vergangener Kaufentscheidungen ableiten. Was hat der Kunde zuerst gekauft und was danach? Hand aufs Herz: Wissen Sie, was Ihre Kunden bei Ihnen alles erworben haben? Lassen sich darin Muster erkennen? Haben Sie vielleicht bereits Cluster identifiziert, die bestimmte Kundengruppen mit einem bestimmten Teil Ihres Angebots in Verbindung bringt? Unternehmen mit einem CRM-System können teilweise direkt auf solche Information zugreifen. Unternehmen ohne solche Hilfsmittel können die Werte aus den Verkaufslisten ermitteln – wenngleich mit deutlich mehr Aufwand.

Mit der Definition der Cross- und Upselling-Potenziale lässt sich der CLV einzelner Kundengruppen oder Kunden definieren. Sind diese Hausaufgaben erledigt, kann es daran gehen, die Kunden kreativ und gezielt anzusprechen, um die ermittelten Potenziale zu heben.

Doch halt: Dürfen Unternehmen einfach so ihre Kunden anschreiben?


Der Haken an der Sache sind zwei Häkchen für die Sache

Der Gesetzgeber macht Unternehmen klare Vorgaben, wann und wie sie direkt mit Kunden kommunizieren dürfen. Sofern es sich bei einer Kontaktaufnahme nicht um eine wichtige Information mit Bezug zu einer bereits bestehenden Geschäftsbeziehung handelt, ist ein so genanntes Double Opt-In erforderlich. D. h. Kunden müssen explizit der Verwendung ihrer Daten für Marketingzwecke zustimmen. Das gilt auch für die Ansprache von Bestandskunden, sofern die Kommunikation sich nicht auf ein konkretes Vertragsverhältnis bezieht.

Im Vertrauen, denn wir sind ja unter uns: Wie viele DOI-Approvals haben Sie von Ihren Kunden erfasst? Und wo ist diese Information revisionssicher (DSGVO!) hinterlegt? Es wäre nicht das erste Mal, dass großartige Pläne an der Möglichkeit scheitern, Bestandskunden über E-Mails, Newsletter oder ähnliches anzuschreiben. Die DOI-Quote ist eine wichtige Stellgröße im Bestandskundenmarketing – liegt sie unter 50%, sollten Unternehmen dringend darüber nachdenken, wie sie diesen Wert erhöhen.

Erfolgversprechend sind hier hybride Kampagnen aus Offline- und Online-Elementen, bei denen der Kunde am Ende sein Einverständnis auf einer Webseite hinterlegen kann. Anlass könnte zum Beispiel die Registrierung eines Produkts sein.

Kleiner Tipp: Informieren sie an dieser Stelle offen und ehrlich die Vorteile des DOI – zufriedene Kunden sind sicherlich an weiteren Qualitätsprodukten aus Ihrem Hause interessiert.



Ganzheitliches Marketing ist nachhaltiges Marketing

Wir werden uns in Zukunft noch häufiger mit der Frage auseinandersetzen, welchen Beitrag das Marketing zur Nachhaltigkeitsstrategie von Unternehmen leisten kann. Bitte an dieser Stelle nicht dem Boulevard-Journalismus auf den Leim gehen. Nachhaltigkeit ist viel mehr als „Papier sparen“.

Ökologische, ökonomische und soziale Nachhaltigkeit sind wichtige Zielgrößen für die so genannte Enkelfähigkeit von Unternehmen (und mittlerweile auch für Investoren). Bestandskundenmarketing kann hier einen wichtigen Beitrag leisten: Aus ökonomischer Sicht ist es mehr als sinnvoll, zusätzlich zum Neukundengeschäft auf den Investitionen, die ein Unternehmen bereits getätigt hat, aufzubauen.


Newsletter und Co – ist das schon Bestandskundenmarketing?

Ja. Und Nein. Denn der Newsletter ist letztlich nur ein Medium, um mit Kunden zu kommunizieren. Ebenso wie LinkedIn, eine E-Mail oder – ja auch das sehen wir wieder häufiger – ein klassisches postalisches Mailing. Wichtig ist (wie immer), was drinsteht.

Handelt es sich um breit gestreute allgemeine Informationen oder um zielgerichtete Botschaften basierend auf Analysen aus den internen Marketing-Tools? Tatsächlich beantworten viele Unternehmen die Frage nach einem programmatischen Bestandskundenmarketing mit „ja“. Schaut man jedoch genau hin, erkennt man, dass dahinter nur sehr selten die gezielte Hebung von Up- und Cross-Selling-Potenzialen steckt, um den prognostizieren Customer Lifetime Value zu erreichen.

Deshalb wollen wir diesen Beitrag zum Schluss mit einigen konkreten Tipps für ein echtes Bestandskunden-Marketing garnieren.


10 Tipps für den Aufbau eines gezielten Bestandskundenmarketings

  1. Checken Sie Ihre Kundendaten: Haben Sie alle Kontaktinformationen zu den richtigen Ansprechpartnern?
  2. Checken Sie die DOI-Quote: Wie viele Ihrer Kunden haben Ihnen die Erlaubnis erteilt, mit ihnen in Kontakt zu treten? Lohnt sich vielleicht eine eigene Kampagne, um die DOI-Quote zu erhöhen, zum Beispiel über eine Produktregistrierung?
  3. Identifizieren Sie die Cross- und Upselling-Potenziale für Ihre Kunden.
  4. Ermitteln Sie Customer Lifetime Value Ihrer Kunden/ der verschiedenen Kundengruppen.
  5. Bringen Sie Sales und Marketing zusammen und entwickeln Sie aus Punkt 3 und 4 eine ganzheitliche Customer Lifetime Journey.
  6. Entwickeln Sie einen programmatischen Kommunikationsplan für die einzelnen Stationen auf der Customer Lifetime Journey.
  7. Brechen Sie die Customer Lifetime Journey auf Businesspläne herunter.
  8. Legen Sie die KPIs für alle Beteiligten fest.
  9. Sorgen Sie für klare Verantwortlichkeiten für das Bestandskundenmarketing.
  10. Bringen Sie alle Beteiligten vor dem Start Ihres Bestandskundenprogramms an einen Tisch, stellen Sie Pläne und Ziele vor.

Greifen Sie das Investitionsvolumen in Ihrem Zielmarkt ab

Fassen wir zusammen: Angesichts schwacher Wachstumsraten im Neugeschäft begeben sich Unternehmen zunehmend auf die Suche nach weiteren Erlösquellen. Die gute Nachricht: in vielen Bestandskunden schlummert weiteres Umsatzpotenzial. Denn nicht immer ist der Marketshare die treibende Erfolgsmetrik, sondern der Anteil an den Gesamtinvestitionen im Markt.

Das Bestandskundenmarketing gehört zu jeder Marketingstrategie, auch und gerade im Bereich B2B (wo dieses Thema noch absolut unterrepräsentiert ist). Zugegeben, das erfordert einiges an Vorarbeit, aber mit ein bisschen Marketing-Analytics lassen sich die Potenziale in dieser Zielgruppe klar beziffern.

Unser Rat: machen Sie durch eine gezielte und differenzierte Ansprache bestehende Kunden zum Treiber für weiteres Wachstum für Ihr Unternehmen.